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Ein Späti im Überlebenskampf

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Berliner Spätkauf-Betreiber wollen ein Volksbegehren gegen das sonntagliche Verkaufsverbot anstreben

Alle zwei Stunden kommt er wieder. Ein alter Mann mit gekrümmtem Rücken und abgetragener Kleidung. In der Hand einen Kaffeebecher, aus dem er ein paar Cent kramt. Genug für ein Pilsator, das günstigste Bier in diesem Späti. Der Mann verstaut es in seinem Einkaufstrolley und geht. Bis bald dann. In zwei Stunden. Bis zum nächsten Pilsator. Späti-Rhythmus. Ein Mann braucht Routinen. Sonst zerfällt alles.

Mehmet Sevim hat den Spät International im April 2015 mit seinen Brüdern übernommen
Mehmet Sevim hat den Spätkauf International im April 2015 mit seinen Brüdern übernommen
Foto: Tamara Dauenhauer

Spätkauf International, Weserstraße 190, Neukölln. Einer von rund 1.000 Spätis in der Stadt. Im Grunde immer offen. Auch sonntags. Gerade sonntags. Obwohl es schon seit 2006 das sonntägliche Verkaufsverbot gibt. Hat aber lange niemanden interessiert. Berlin eben. Trinkste einen mit. Noch einen. Einer geht noch. Immer. Und sonntags sowieso.

Aber seit kurzem interessiert das Sonntagsverbot Ordnungsamtsmitarbeiter und Polizisten in einigen Bezirken plötzlich doch. Es drohen Geldstrafen bis zu 2.500 Euro. „Die Polizei steht jeden Sonntag vor der Tür und kontrolliert uns“, erzählt Mehmet Sevim, der Mann an der Späti-Kasse. Zierliche Gestalt, beide Hände schwer auf die Theke gestützt. Als bräuchte er jetzt Halt. Müde sieht er aus. 60 Cent kostet ein Pilsator im Spätkauf International, da bleibt nicht viel Gewinn hängen. Also geht es um die Masse. Sonntags rollt der Rubel. Der umsatzstärkste Tag für Spätkaufbetreiber wie Sevim. Würde das Verkaufsverbot tatsächlich konsequent umgesetzt, müssen einige von ihnen wohl schließen. Jetzt haben sich 100 Späti-Betreiber zu einem Verein zusammengeschlossen, um ein Volksbegehren zur Rettung der Spätis voranzutreiben. Damit sie weiter an Sonn- und Feiertagen öffnen können. „Ohne Spätis kein Berlin“, heißt ihr Motto. Zeitgleich haben 38.000 Berliner eine Petition auf Change.org unterschrieben, die sich ebenfalls gegen das Sonntags-Öffnungs-Verbot ausspricht.

Der Späti ist ein Symbol des Berlin-Booms. Zentrale Anlaufstelle im Kiez für Studenten und Partytouristen, die mit Wegbieren in den Händen um die Häuser ziehen wollen. Die Feierwilden, die Verrückten, die Verpeilten, die Verlorenen. Und auch ein Hort für Menschen, denen immer gerade sonntags einfällt, dass der Kühlschrank noch leerer ist als das Konto. Ein Späti mittendrin muss doch da so etwas wie eine Lizenz zum Gelddrucken sein. Gerade auch der Spätkauf International, der einst ein vielbeachteter Kulturbetrieb war.

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Der erste Besitzer Dogan K. machte aus dem Spätkauf mit seinem Hinterzimmer eine Attraktion, eine freie Bühne, in der Konzerte und Kunstaktionen stattfanden. Vergangenes Jahr kaufte Mehmet Sevim mit seinen beiden Brüdern den Laden. Seitdem hat sich viel geändert. Das Kunst-Flair ist verschwunden. Die einstigen Besucher weichen lieber auf die Bars und Restaurants in der Nähe aus. Die Abschiedsfeier von Dogan K. muss ziemlich turbulent ausgefallen sein. Seitdem ist es dem Späti jedenfalls verboten worden, einen Außenbereich mit Sitzmöglichkeiten zu unterhalten. Aus dem Soziotop wurde ein ganz normaler Verkaufsraum. Einer von ganz vielen. Eine der berühmtesten Berliner Spätverkaufsstellen ist in der mühsamen Ebene angekommen, im Kater, der auf den Rausch folgt: Umgeben von Konkurrenz, drangsaliert von Polizei und Ordnungsamt.

Vor der Tür: ein alter besprayter Kaugummiautomat. Innen hängen Schwarzweiß-Porträts an der Wand: Marilyn Monroe, Charlie Chaplin, Beethoven. Im Hinterzimmer: zusammengewürfeltes Mobiliar, bemalte Wände. Dort sitzen Gunni und Max, zwei Handwerker. Kippen zwischen den Lippen, ein Bier in der Hand, das nächste schon auf dem Tisch. Sie schimpfen, scherzen, lachen. „Ick fühl mich hier uffjehoben, wie n Mensch, keener will wissen, wat icke arbeite oder so“, sagt Max. Für ihn bedeutet das Hinterzimmer vor allem eins: „Ruhe vor den Studenten hier überall.“

Gegenüber ist noch ein Spätkauf, der „Spät Campus“. Da wurden sie letztes Jahr nicht an den Billardtisch gelassen. Das war zu viel. Günni und Max haben kein Verständnis mehr für die neuen „Studi-Läden“, wie sie die nennen. Für sie ist der schlichte Spätkauf, wo es kühles Bier zu kleinen Preisen gibt, eine schützende Nische vor der Gentrifizierung.

Es wird Abend, dann Nacht. Ein paar Wegbiere gehen über die Theke, ansonsten bleibt es ruhig. Die Bar eine Ecke weiter ist umso belebter. Mehmet schaut resigniert. Er beginnt, drinnen ein wenig zu fegen. Um 22 Uhr stehen drei junge Männer vor seiner Tür. „Braucht ihr noch was?“, fragt der eine. „Einen Sekt vielleicht?“, ist die Antwort. Er kommt wieder aus dem Laden und hat drei Sternburg-Bier in der Hand, die zweitgünstigste Marke. „Sind hier doch in Berlin“, sagt er. 

Der Beitrag Ein Späti im Überlebenskampf erschien zuerst auf ZITTY.


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